Kratzen, beißen, hauen

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Kratzen, beißen, hauen

Hilfe mein Kind beißt! Wer schon einmal in so einer Situation war, weiß, dass das Ganze einen selber ziemlich aufwühlen kann. Oh je, MEIN Kind beißt mich oder andere. Puh das zehrt an den Nerven. Nicht nur dass es einfach weh tut, sondern es ist uns total unangenehm. Das geht halt echt nicht, das muss das Kind sofort lernen. So benimmt man sich einfach nicht! Was sollen die anderen von uns denken?! Ich habe meine Kinder schließlich im Griff! Warum machen das die anderen Kinder nicht, nur meins? Ja, da kann viel in einem hoch kommen. Aber was passiert da nun eigentlich beim Kind? Ist es jetzt wirklich gemein und unerzogen? Muss ich nun durchgreifen? Das alles schauen wir uns nun zusammen etwas genauer an.

Das Temperament unserer Kinder ist angeboren, die Kinder bringen es einfach mit ins Leben. Ob ein Baby oder Kleinkind diese Verhaltensweisen zeigt hat viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Das eine Kind ist wild, wuselig und laut das andere eher ruhig, in sich gekehrt und vielleicht was vorsichtiger (oder mal so mal so – alles ist möglich 🙂 ). Wie ein Kind Gefühle wie Wut, Trauer oder Freude zum Ausdruck bringt hat erst einmal nichts mit uns Eltern zu tun. Wir müssen uns wegen nicht gerne gesehenem Verhalten keine Vorwürfe machen.

Mein Baby beißt mich

Manche Babys entdecken irgendwann das beißen für sich. Warum passiert das und wie hört es wieder auf, sind dann so Fragen, die Eltern beschäftigen. Erstmal ist für Babys alles spannend was neu für sie ist und somit wird erst einmal ausprobiert, getestet und gespielt. „Wow, ich mache was und daraufhin passiert was.“ Das Kind erfährt Selbstwirksamkeit. Ich kann was bewirken! Ich beiße (haue, kratze, … ) und daraufhin macht Mama ein anderes Gesicht als vorher. Oder ich beiße und daraufhin werde ich weg gehalten, das macht Spaß. Passiert das auch wirklich jedes Mal, wenn ich das mache? Das Kind lernt und testet sich aus! Einige Babys benutzen es auch als ein Zeichen von Liebe. Voller Überschwang wird dann zugebissen, vor Freude und Glück. Es beißt nicht mit böser Absicht!

Ich höre öfters von Eltern „Das macht die aber wirklich extra, um mich zu ärgern!“ Das kann manchmal so wirken aber ich sage euch, nein, das ist nicht so! Euer Kind macht es nicht um euch zu ärgern oder euch weh zu tun. Einem Baby und auch einem Kleinkind ist es gar nicht klar, dass sein Verhalten einem anderen Menschen weh tut. Dem Kind ist auch nicht klar, dass sich ein Mensch anders fühlen kann als es sich selbst fühlt. Das würde nur durch Empathie funktionieren und diese Fähigkeit müssen Kinder erst entwickeln. Empathieentwicklung, Impulskontrollen und auch generelle Emotionsregulation sind Entwicklungsschritte. Wie das Baby kann sich drehen, es krabbelt, sitzt selbstständig, zieht sich hoch, läuft und so viele weitere Schritte. Man kann das Kind mit Kleinigkeiten bei den einzelnen Schritten leicht unterstützen aber das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Das Kind wird nicht laufen, wenn es noch nicht soweit ist. Egal wie oft wir es vor einen Lauflernwagen stellen oder es an den Händen herumführen (beides natürlich KEINE Empfehlung!). Genauso ist es mit der Empathieentwicklung, wir können das Kind unterstützen, indem wir im Alltag oder in Büchern immer wieder Gefühle benennen. Wie zum Beispiel: „Das Kind schaut ganz traurig, ob es sich weh getan hat?“ „Papa liest ganz konzentriert die Zeitung.“ „Max ist enttäuscht, seine Sandburg ist zusammengefallen.“

Natürlich altersgemäß, bei Babys eher sowas wie: „Paul lacht.“ „Tim weint.“ Kinder lernen das zuordnen von Mimik, Stimmung und Gefühl normalerweise von alleine im alltäglichen Umgang miteinander, trotzdem kann das reden und erwähnen der jeweiligen Gefühle nicht schaden und das Kind unterstützen. Was natürlich wichtig ist, ist dass Stimmung, Mimik und das Gefühl auch übereinstimmen. Achtet auf Authentizität! NICHT so: Dich als Elternteil hat etwas sehr traurig gemacht, du kämpfst mit den Tränen. Man sieht dir aber eindeutig an, dass du traurig bist. Du sagst deinem Kind „nein, alles ist gut. Mama geht es gut, ich hab nur was im Auge“. Das Kind kommt so ins zweifeln und kann Mimik, Gefühl und die Stimmung die es aufnimmt nicht richtig zuordnen. Irgendwas stimmt nicht. Deswegen Gefühle nie verstecken. „Mama ist gerade traurig. Mach dir keine Sorgen, komm wir gehen etwas an die frische Luft. Das wird mir gut tun.“ oder „Ich brauche gerade einen Moment für mich, ich trinke meinen Tee und dann wird es mir schon wieder besser gehen.“

Kind zahnt

Beißen kann aber auch andere Gründe haben. Es kann einfach angenehm sein, ein neues Gefühl oder auch eine Art Entlastung bei Zahnungsschmerzen. Wenn du merkst, dass das bei deinem Kind so sein könnte, biete ihm Kaualternativen an, wie eine Feilchenwurzel (diese bekommt ihr in Drogeriemärkten oder Apotheken), leicht gekühlte Beißringe oder „Kauzahnbürsten“. Vielleicht ist dadurch das Thema für euch schon beendet :-).

Beißen beim Stillen

Besonders unangenehm kann es werden, wenn ein Kind beim stillen zubeißt. Während des Stillens kann das Kind nicht beißen aber manche Kinder haben eine Phase in der sie nach dem stillen oder direkt beim anlegen zubeißen. Dies kann mit der Kauleiste schon schmerzhaft sein und kommen dann noch ein oder mehrere Zähnchen dazu macht das die Sache nicht angenehmer. Intuitiv möchte man das Kind einfach so schnell wie möglich von der Brust kriegen und schiebt es weg. Das ist allerdings keine gute Idee, denn das Baby hängt ja noch an der Brust und durchs ziehen wird es nur noch schmerzhafter für dich! Wenn das Kind nicht sofort loslässt, dann drücke das Köpfchen ganz kurz und leicht an die Brust. Dadurch erschrickt das Kind und es lässt die Brust los. Wenn du weißt, dass dein Kind momentan nachdem es getrunken hat, irgendwann beim nuckeln beißt, dann lass es trinken und löse danach sofort mit einem Finger das Vakkum und docke dein Kind ab.

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Mein Kleinkind beißt mich

Es kann manchmal schon frustrierend sein, wenn man irgendwie nicht mehr so klein ist aber auch noch nicht so groß. Man versteht schon viel aber auch noch nicht so viel, wie einige denken. Das kann ein Kleinkind schon mal wütend machen. Manche nutzen hauen, beißen und Co. als Ventil, um Wut oder andere Gefühle rauszulassen. Natürlich machen die Kinder das nicht bewusst. Sie haben einfach noch keine andere Strategie um die Wut zu entladen. Manche drücken so auch ihre Zuneigung aus. „Ich hab dich sooo lieb“ und voller Gefühl wird zugebissen. Das ist nicht böse gemeint, die Kinder werden so von ihrem Gefühl überschwemmt, dass sie nicht wissen wohin damit. Und so lassen sie das Gefühl raus.

Mein Kind beißt andere Kinder

Von andere Kleinkindern wird beißen als Kommunikationsmittel benutzt.  Sie wissen in manchen Situationen noch nicht wie sie gesellschaftlich angemessen kommunizieren und können es kognitiv auch einfach noch nicht. Einige Kinder möchten einfach nur mit anderen spielen und wissen nicht wie sie dies angehen sollen.

Mein Kind tritt mich extra

Wenn ein Kind zwischen 3 und 6 Jahren ein Elternteil bewusst tritt, dann ist auf der Beziehungsebene etwas verrutscht. Wird das Kind gesehen wie es ist? Seine Grenzen geachtet? Bekommt es das Gefühl nicht okay zu sein? Diese Verletzungen müssen nicht zwangsläufig in der Familie passieren, es kann auch in Kindergarten oder Schule dazu gekommen sein und die Entladung darüber passiert dann Zuhause. Oder übernimmt euer Kind gerade die Erwachsenenrolle in eurer Familie und ist damit (natürlich!) überfordert? Geht der Sache auf jeden Fall auf den Grund. Denn euer Kind möchte euch etwas sagen! Auch Selbstwirksamkeit bzw. Aktion-Reaktions-Muster sind möglich. Wenn dein Kind wütend ist wirst du unruhig und möchtest es am liebsten sofort abstellen?! Deswegen gibts dann mal schnell das was das Kind gut ablenkt?! Also Kind ist wütend und haut und tritt um sich, dir ist das total unangenehm, weil du selber getriggert wirst, deswegen gibt es zack…mal eben schnell ein Eis?! (warum ablenken keine gute Idee ist erleutere ich nochmal extra) Auch das ist ein Aktions-Reaktions-Muster (oder  halt auch Selbstwirksamkeit). Erfahrungen werden im Gehirn gespeichert und je öfters eine Situation immer gleich abläuft, desto stärker wird die neuronale Verknüpfung. Können Kinder in dem Alter also doch schon manipulieren?! NEIN!! Oder besser JEIN! Die Frage ist, von wem geht die Manipulation aus? Im Endeffekt möchte man selber das Kind „ruhigstellen“ und man könnte den Aktion-Reaktionskreislauf ja unterbrechen! Es liegt also an uns!

ACHTUNG: das ist keine Einladung nun immer Konsequent zu sein und nichts durchgehen zu lassen! Absoult nicht. Aber trotzdem könnt ihr Situationen die immer wiederkehren einmal kritisch hinterfragen. Bei meinem obrigen Beispiel wäre da dann die Frage „warum kann ich nicht damit umgehen, wenn mein Kind wütend ist?“. Es muss also nicht am Kind rumgedoktort werden!(darüber schreibe ich nochmal separat :-))

Schön und gut. Aber was heißt das nun für den Alltag. Was tue ich nun?!

Baby und Kleinkind (0-ca.2 Jahre): Die Antwort ist ziemlich simpel. Mach kein großes Ding draus. Natürlich muss du dich nicht beißen (kratzen, hauen… ) lassen. Halt keine Monologe warum „man“ das nicht macht und lass auch keine Schimpftirade los. Ignoriere wenn möglich das Verhalten aber NICHT das Kind! Ein Beispiel: Dein Kind möchte dich während du es auf dem Arm hast in die Schulter beißen. Wenn dies schon einmal vorgekommen ist, merkst du ja relativ schnell, wann es vielleicht wieder zubeißen möchte. Dann nimm es ein Stück von dir weg und schütze dich. Wenn es doch nochmal zubeißt aber darauf nichts großartiges passiert (wie Papa erschreckt sich oder jemand schimpft) dann ist diese Phase oft schnell wieder vorbei. Auf jeden Fall schneller, als wenn du dem Verhalten mehr Gewicht gibst als nötig.

Kleinkind (ca.2- ca.3 1/2 Jahre): Ab diesem Alter kannst du erwähnen, dass man das Verhalten nicht mag. Auch hier sollte man natürlich altersgerecht kommunizieren. Es ist schwer eine genaue Altersgrenze anzugeben, da der eine 3jährige schon mehr versteht als ein anderer. Deswegen unbedingt individuell auf euer Kind gucken. Je jünger ein Kind ist, desto weniger Worte sollte man nutzen. Zum Beispiel: „Nicht beißen.“ „Ich möchte nicht gebissen werden.“ Ich möchte nicht gebissen werden, das tut mir weh“. Wenn man weiß warum das Kind gebissen hat. Kann man auch noch einmal auf die Situation eingehen (es ist bereits geschehen) oder die Situation begleiten (man konnte die „Attacke“ noch stoppen). Beispiel Kind hat gehauen: „Du wolltest das Rutschauto eigentlich haben, und als Noah es dann genommen hat, bist du wütend geworden und da hast du ihn gehauen.“  Kind bestätigt das Gesagte durch Gestik oder Worte. „Das verstehe ich. Das Rutschauto ist aber hier in der Gruppe für alle Kinder da. Jetzt fährt Noah damit, wenn er wieder hier ist fragen wir ihn gemeinsam, ob ihr euch abwecheln könnt.“ Je nach Situation tröstet man nun das Kind oder findet einen Kompromiss, wie hier abwechseln. Beispiel Kind möchte gerade hauen: Du weißt, dass dein Kind dazu neigt körperlich zu werden. Dann heißt es für dich achtgeben. Du siehst dass deine Tochter sich einem anderen Kind nähert, du gehst mit und begleitest die Situation. Außerdem übersetzt du deinem Kind sein Verhalten. Ein anderes Mädchen hat ein Puzzle, sie möchte es gerne mit ihr zusammen machen. Sie geht auf das Mädchen zu und möchte sie hauen. Du bist direkt da und verhinderst den Schlag. „Nicht hauen.“ (deine Tochter wird ggf. ärgerlich oder erschrocken sein, deswegen erstmal wenig Worte) Wenn sie dann in der Lage ist zuzuhören: „Du möchtest gerne mit Lena zusammen das Puzzle machen oder?“ Sie nickt bedrückt. „Lena, Marie würde gerne mit dir zusammen das Puzzle legen. Ist das okay für dich?“

Wenn dein Kind gerade in einer solchen Phase ist, dann kommuniziere das offen bei Freunden und Gruppen in denen du regelmäßig bist. „Für Paul ist es oft schwierig einen passenden Weg zu finden, mit anderen Kindern Kontakt aufzunehmen. Dann nutzt er manchmal hauen als Kommunikationsmittel. Ich habe da ein Auge drauf und versuche es natürlich zu verhindern. Es ist mir wichtig, dass ihr darüber Bescheid wisst, was bei ihm dahinter steckt.“ Das kann einen selber sehr entstressen und andere Eltern haben dann oft mehr Verständniss, falls es doch mal zu einer Verletzung kommen sollte, weil man nicht schnell genung war.

Kindergartenkind (3 1/2 – 6 Jahre): Erforsche welches Bedüfnis deines Kindes nicht erfüllt wird. In der Situation musst du das treten natürlich nicht über dich ergehen lassen. Geh aus der Situation und sage (ohne zu schimpfen) dass du das nicht möchtest. „Ich möchte nicht getreten werden, das tut mir weh. Kann es sein, dass du mal wieder Zeit mit mir alleine verbringen möchtest? Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht.“ Beobachtet auch, ob es immer wiederkehrende Situationen sind? Schreibt es einfach mal auf. Wenn es eine längere Zeit anhält und es euren Alltag belastet, dann holt euch Hilfe! Oft lösen sich solche eingefahrenen Situationen schnell auf, wenn jemand von außen auf die Gesamtsituation schaut.

Fazit:

Du hast ein wundervolles Kind was es nicht böse meint, schau hin und finde heraus was zu dem Verhalten führt. Sei verständnissvoll und lass dich von Außenstehenden nicht verunsichern. Dein Kind ist nicht das Einzige was solche Phasen durchlebt! Du bist nicht allein.

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