#34 Doktorspiele bei Kindern: Harmlos oder sexueller Übergriff?!

Doktorspiele bei Kindern

Puh, kein ganz einfaches Thema, oder? Egal, ob du dein Kind selbst schon einmal dabei „erwischt“ hast oder z. B. von den Erzieher:innen im Kindergarten darauf angesprochen wurdest: Doktorspiele bei Kindern konfrontieren uns Eltern im Laufe der ersten Lebensjahre öfter, als du vielleicht denkst. Bereits im Kindergartenalter haben Mädchen und Jungen Interesse daran, das eigene und das andere Geschlecht zu erkunden. Obwohl es zur normalen Entwicklung unserer Kinder dazu gehört und nichts „Anstößiges“ ist, behandeln wir es in unserer Gesellschaft doch größtenteils als Tabu.  

Trigger Warnung: In diesem Artikel behandle ich das Thema “sexuelle Übergriffe von Kindern und durch Geschwister”. Die Inhalte können auf traumatisierte Menschen und Betroffene belastend wirken.

Ich habe in meinem engeren Umfeld selbst einen Fall erlebt und daher ist es für mich eine echte Herzensangelegenheit, mit diesem Blogartikel Eltern aufzuklären, damit sie für den Unterschied zwischen einem normalen Spielverhalten von Kindern – auch unter Geschwistern – und der Grenzüberschreitung hin zu sexuellen Übergriffen sensibilisiert werden.

Denn was man dabei keinesfalls außer Acht lassen darf: Ab wann gehen Doktorspiele bei Kindern zu weit, wo beginnen sexuelle Übergriffe und wie kann ich mein Kind davor schützen, zum Opfer zu werden?

Falls du die Inhalte lieber hören statt durchlesen möchtest, lege ich dir meine Podcast-Folge zu diesem Thema ans Herz: #34 Doktorspiele bei Kindern

Was sind Doktorspiele?

Doktorspiele bei Kindern kommen etwa ab dem 3. Lebensjahr vor. Vor allem im Kindergarten- und Grundschulalter beginnen Kinder, sich für unterschiedliche Geschlechtsorgane zu interessieren: Sie untersuchen sich oder auch andere Kinder und entdecken sich gegenseitig. Das ist ein normales Verhalten und erst mal kein Grund zur Sorge. Das Entdecken und Beschäftigen mit dem eigenen, aber auch fremden Körpern hilft bei der Entwicklung eines positiven Körperbildes und dient außerdem dem Schutz vor sexualisierter Gewalt. Allerdings ist eine achtsame Begleitung von uns Erwachsenen notwendig, um die Kinder vor möglichen Grenzverletzungen zu schützen.

Wie sollten Eltern auf Doktorspiele bei Kindern reagieren?

Wenn Kinder anfangen, ihren Körper zu entdecken, allein oder gemeinsam mit anderen, dann werden wir Erwachsene mit unserer eigenen Sexualität und unseren Gedanken zu diesem Thema konfrontiert. 

Das kann unterschiedliche Gefühle in uns auslösen: 

  • Scham, weil wir peinlich berührt sind.
  • Hilflosigkeit, weil wir nicht wissen, was wir machen und wie wir reagieren sollen. 
  • Wut, weil sich Ängste und Sorgen in den Kopf schleichen. 

Bei all diesen Gedanken und Gefühlen, die da so aufkommen, sollten wir uns bewusst machen, dass sie erst mal etwas mit uns selbst und unseren eigenen Erfahrungen zu tun haben. Sie sind unabhängig zu betrachten und haben nichts mit der aktuellen Situation unseres Kindes zu tun.

Was also tun, wenn das eigene Kind Doktorspiele spielt?! Wie reagiere ich richtig?

Klare Regeln aufstellen

Es ist wichtig, dass unsere Kinder sich selber und auch andere Kinder im Spiel erleben dürfen. Gleichzeitig sind wir als Eltern in der Verantwortung, einen sicheren Rahmen zu schaffen, der klare Regeln hat.

Damit aus einem Entdecken und sich weiter entwickeln keine Grenzüberschreitung oder ein sexueller Übergriff wird.

Deswegen habe ich einige Regeln für dich zusammengefasst, die du deinem Kind vor Doktorspielen mitgeben solltest:

  • Jedes Kind entscheidet selbst, mit wem es Doktorspielen möchte. Vermittle deinem Kind: „Du darfst jederzeit NEIN sagen“.
  • Es wird nur getan, was alle Kinder möchten!
  • Es wird keinem Kind weh getan.
  • Kein Kind steckt einem anderen Kind etwas in eine Körperöffnung. Das gilt nicht nur für die Geschlechtsorgane, sondern auch für Ohren, Nase und Mund.
  • Der Altersabstand zwischen den Beteiligten sollte maximal 2 Jahre betragen. Hier seid ihr als Eltern oder das Fachpersonal im Kindergarten bzw. die Lehrer:innen in der Schule gefragt, darauf zu achten.
  • Ältere Kinder, Jugendliche oder Erwachsene dürfen nicht mitmachen!!!
  • Du darfst dir immer Hilfe holen.

Achtung! Du musst jetzt nicht direkt losrennen und das Gespräch mit deinem Kind suchen. Manche Kinder spielen auch keine Doktorspiele. Informiere dein Kind dann darüber, wenn du mitbekommst, dass es aktuell ein Thema ist. 

Warum es dir nicht peinlich sein sollte, mit deinem Kind darüber zu sprechen​

Es ist sehr wichtig, dass dein Kind mit solchen Themen zu dir kommen kann. Wo soll es sich sonst Hilfe holen, wenn es welche braucht? Offen über Sexualität zu sprechen – natürlich in einem altersentsprechenden Rahmen – und vor allem auch die Regeln zu formulieren, schützt dein Kind vor sexueller Gewalt. 

Wie soll dein Kind wissen, was okay ist und was nicht, wenn ihr nicht darüber sprecht?

Welche Grenzen dürfen Doktorspiele bei Kindern nicht überschreiten?

Wann gehen Doktorspiele bei Kindern zu weit, wann sind sie „nicht mehr normal“? Und wann beginnt sogar ein sexueller Übergriff? 

Verletzt ein Kind zufällig die Grenze eines anderen Kindes während eines Doktorspiels, ist das noch nicht sofort als sexuellen Übergriff zu werten. 

Werden aber durch sexuelle Handlungen regelmäßig, massiv und/oder gezielt 

  • Grenzen anderer verletzt 
  • und es wird sich nicht an die vereinbarten Regeln gehalten,

dann handelt es sich um sexuelle Übergriffe.

Wenn du DAS beobachtest, musst du einschreiten

  • Ein Kind möchte andere Kinder zum Doktorspiel überreden.
  • Ein älteres Kind möchte Doktorspiele mit einem jüngeren Kind spielen.
  • Ein Kind sagt dem anderen, dass es keinem davon erzählen darf.
  • Ein Kind nutzt vermehrt sexualisierte Sprache (auffallend mehr als Altersgenossen).
  • Ein Kind fordert andere zu Handlungen auf, die der Erwachsenensexualität entsprechen.
  • Ein Kind hält sich nicht an die vereinbarten Regeln.

Was kannst du tun, wenn es zu weit geht?

Wenn dir bei deinem eigenen oder auch bei einem anderen Kind die oben genannten Verhaltensweisen auffallen, dann bagatellisiere dies nicht! 

Hol dir Hilfe! 

Kontaktiere mich oder wende dich am besten an Organisationen, die darauf spezialisiert sind. Dazu gehören Vereine wie 

  • Sag’s e. V.
    Beratung und Prävention gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
    Düsseldorfer Str. 16
    40764 Langenfeld / Rheinland
    Telefon: +49 (0)21 73 – 8 27 65
    E-Mail: info@sags-ev.de
    www.sags-ev.de
 
  • Zartbitter e. V.
    Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen
    Sachsenring 2 – 4
    50677 Köln
    Telefon: +49 () 221 – 31 20 55
    E-Mail: info@zartbitter.de
    www.zartbitter.de

Dort könnt ihr euch bei Unsicherheit auch einfach eine Einschätzung von erfahrenem Fachpersonal einholen. Beim ersten Bauchgefühl hör auf deine Intuition! Wenn du denkst „Ich bin aber unsicher …“, dann nimm bereits unbedingt Kontakt auf! Jeder Anruf kann Leben retten! 

 

Was sind mögliche Gründe für sexuelle Übergriffe unter Kindern?

Fragst du dich, wie es so weit überhaupt kommen kann? Betroffene Kinder bringen meist eigene schlimme und traumatische Erfahrung mit.

  • Sie wurden vernachlässigt.
  • Sie haben Gewalterfahrungen in der Familie oder außerhalb der Familie gemacht.
  • Mobbing kann ebenfalls eine Ursache dafür sein, dass ein Kind auf diese Art auffällig wird.

Leider kommt es auch immer wieder vor, dass der Kinderschutz bei sexuellen Übergriffen durch andere Kinder von den verantwortlichen Aufsichtspersonen vernachlässigt wird. Sei es in Einrichtungen wie z. B. im Kindergarten oder auch in der Familie. 

Doktorspiele unter Geschwistern

In Familien ist sexualisierte Gewalt ein großes Tabu und wird oft bagatellisiert.

„Wenn es Missbrauch durch Geschwister gibt, bagatellisieren Eltern das häufig. Die Taten werden zu Doktorspielen minimalisiert, die Realität wird nicht anerkannt. Das ist der einfachste Weg, um als Familie weiterzuleben.”

Nach Prof. Dr. Esther Klees lässt sich das Sexualverhalten von Geschwistern in drei Formen unterscheiden:

Sexualverhalten von Geschwistern

Das ist kein leichtes Thema, ich weiß. Umso wichtiger, dass wir uns als Eltern damit einmal beschäftigt haben und vor allem nicht die Augen davor verschließen. Denn das sind leider echt keine Einzelfälle, über die wir hier sprechen.

So oft kommt es zu sexueller Gewalt durch Geschwister

Sexuelle Übergriffe durch Geschwister kommen dreimal häufiger vor als sexuelle Gewalt durch die Eltern. Somit ist es die häufigste Form von sexueller Gewalt innerhalb von Familien. 

Wegen des großen Tabus wird nur so gut wie nie darüber gesprochen. Doch die Folgen für die Betroffenen sind gravierend und können ihr gesamtes weiteres Leben beeinflussen und beeinträchtigen.

Mögliche Folgen für Betroffene*

  • Starke Verunsicherung bezüglich emotionaler und körperlicher Reaktionen
  • Gestörte Beziehungsfähigkeit
  • Negatives Selbstkonzept (Schuldgefühle)
  • Depressionen
  • Auffälligkeiten im Sexualverhalten (Promiskuität/Aversion)
  • Erhöhtes Risiko erneuter Opfererfahrung
  • Drogen- und Alkoholprobleme
  • Essstörungen
  • Traumafolgestörungen
  • Suizidgedanken/-versuche

*Quelle: Die Publikation „Sexuelle Gewalt durch Geschwister“ zum Fachtag „Zeichen-setzen!“ am 23.10.2019 von Prof. Dr. Esther Klees

Wenn dein Kind zu dir kommt: Was ist wichtig?

Für betroffene Kinder kann die Erfahrung, dass die Bezugs- und Vertrauensperson das erlebte, nicht ernst nimmt, abtut oder einfach nicht glaubt, genauso traumatisierend sein wie die Tat selbst.

Deswegen appelliere ich an euch Eltern, Erzieher:innen, Lehrer:innen und alle anderen in ihrer Rolle als Aufsichtsperson:

  • Hört eurem Kind zu! 
  • Nehmt es immer ernst. 
  • Holt euch Unterstützung.

Auch präventiv könnt ihr einiges tun, indem ihr …

  • … mit eurem Kind über Sexualität von klein an offen sprecht (natürlich altersangemessen).
  • … gemeinsam passende Bücher anschaut.
  • … offen über Gefühle sprecht.
  • … ein Nein eures Kindes akzeptiert. So lernt es, dass es einerseits gehört wird und gleichzeitig, dass es auch selbst ein Nein von anderen respektiert.

Buchtipps

Auch für diesen Artikel habe ich wieder thematisch passende Buchempfehlungen* für dich gesammelt:

📚 Ein gutes Gefühl: Gefühlstagebuch für Kinder von 6 bis 11 Jahren (ab 4 Jahren geeignet).

📚 Klär mich auf: Aufklärungs-Bestseller, Sachbuch für Kinder ab 8 Jahre.

📚 Körper sind toll: Ein fröhliches Liebe-Deinen-Körper-Bilderbuch. Durch Selbstakzeptanz und Body Positivity das Selbstbewusstsein von Kindern stärken. Vorlesebuch mit Reimen ab 3 Jahren.

📚 Mini Bibliothek: Die große Mini-Bibliothek der Wörter – „Ich und Du“: Pappbilderbuch für Kinder ab 24 Monate, in dem u. a. Körperteile, Kleidungsstücke, Familienmitglieder und Gefühle vorgestellt werden.

📚 Soll ich es sagen: Eine Geschichte über Geheimnisse: Wann darf man ein Geheimnis für sich behalten und wann sollte man es besser erzählen? Für Große und Kleine, ab ca. 4 Jahren geeignet.

📚 Finnis Geheimnis: Kinder stark machen, NEIN zu sagen! Empfehlung: Für Kinder zwischen 3 und 5 Jahren

*Hinweis: Ich nehme am Amazon-Partnerprogramm teil und es handelt sich hier um Affiliate-Links. Wenn ein Kauf zustande kommt, erhalte ich eine kleine Provision. Der Preis des Artikels bleibt für dich natürlich gleich.

Meine große Bitte an dich!

Am Ende dieses Artikels möchte ich dir abschließend noch dringend ein paar Dinge ans Herz legen:

  • Halte die Augen offen und hab einen Blick für dein und auch andere Kinder.
  • Verdränge nicht die Tatsache, dass es sexuelle Übergriffe gibt (egal ob durch Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen). 
  • Glaube deinem Kind IMMER, auch wenn es sich für dich noch so unvorstellbar anfühlt. 
  • Holt euch Hilfe!
 

Ihr seid betroffen oder du bist unsicher? 

Hier bekommst du Hilfe:

Das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch (0800 22 55 530) ist die Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend, für Angehörige sowie Personen aus dem sozialen Umfeld von Kindern, für Fachkräfte und für alle Interessierten.

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