#39 Bedürfnisorientiert: 5 Stolpersteine im Elternalltag

Titelbild bedürfnisorientiert

In den ersten Jahren meiner Mutterschaft habe ich oft über bedürfnisorientierte Erziehung nachgedacht. Ist dieser bedürfnisorientierte Ansatz wirklich der richtige Weg? Auch ich habe dabei einige der Stolpersteine, um die es heute geht, mitgenommen. Welcher mein persönlich größter Fehler war? Das verrate ich dir am Ende dieses Artikels. Doch jetzt möchte ich erstmal mit dir teilen, welche Herausforderungen du bei einer bedürfnisorientierten Kindererziehung besser umgehen solltest.

Fehler sind absolut ok. Sei ein Vorbild!

Nicht immer läuft alles rund in der Erziehung oder Beziehung zu deinem Kind. Wir alle machen Fehler und wir alle haben unsere eigenen Baustellen und Herausforderungen. Perfektion? Die gibt es nicht in der Elternschaft. Ohne Fehler durch die Elternschaft zu kommen ist unmöglich und auch nicht nötig! 

Was zählt, ist unser Umgang mit Fehlern. Wir können und sollten unseren Kindern eine gute Fehlerkultur vorleben. Wenn bisher vielleicht etwas nicht so optimal gelaufen ist und du jetzt eine bessere, bedürfnisorientierte Möglichkeit kennengelernt hast, dann kannst du es ab heute ein klein bisschen besser machen. 

Wir können uns bei unserem Kind entschuldigen und ihm die Situation altersgemäß erklären. Es zeigt ihm, dass auch wir als Eltern nicht alles wissen, dass auch wir dazulernen und wachsen.

Dieser Artikel hat das Ziel, dir bei der bedürfnisorientierten Erziehung beizustehen und dir dabei zu helfen, die größten Stolpersteine zu umgehen. Ich möchte, dass du dich sicherer und wohler in deiner bedürfnisorientierten Elternrolle fühlst.

Und falls du eher der auditive Typ bist, dann hör dir doch die begleitende Podcast-Folge zu diesem Thema an:

In meinen Elterncoachings tauchen immer wieder ähnliche Stolpersteine auf. Wenn du dich in einem oder mehreren wiedererkennst, kannst du dir sicher sein: Du bist damit nicht allein.

Inhaltsverzeichnis

Konflikte und Fehler vermeiden wollen
Wenn die Selbstfürsorge auf der Strecke bleibt
Bedürfnisorientiert heißt auch Grenzen setzen
Verwöhnen versus Unterstützen
Bedürfnisorientierte Erziehung: Was sie nicht ist
# Buchtipps
# Schlussgedanken

 

Was Eltern bei bedürfnisorientiertem Erziehen oft falsch machen Konflikte und Fehler vermeiden wollen

Weißt du, was viele Eltern, die ihr Kind bedürfnisorientiert erziehen, denken? Sie glauben, wenn sie nur rechtzeitig genug jedes Bedürfnis ihres Kindes erkennen und erfüllen, dann gibt es keine Konflikte, keine Tränen und keine Wutausbrüche mehr. Das klingt in der Theorie erstmal super, oder? 😉

Ich habe ein tolles Zitat von Dr. Nicole Wilhelm gelesen, dass genau diesen Stolperstein perfekt beschreibt: 

„Eltern sollten verstehen, dass der Ansatz: „Wenn ich nur geduldig genug bin, freundlich, flexibel, kreativ – wenn ich nur alles möglich mache, finden wir immer eine harmonische Lösung.“ Das ist eine Dreckslüge!“ 

 

Es braucht einen guten Mittelweg: Klar sollen wir auf die Bedürfnisse unseres Kindes achten. Das hilft uns, sie besser zu verstehen. Aber es geht nicht darum, Konflikte oder Gefühle um jeden Preis zu vermeiden. Kinder brauchen beides, um daraus zu lernen. Wir müssen nicht extra Drama inszenieren oder künstlich herbeiführen – genug echte Gefühlsausbrüche und Konflikte gibt’s von ganz allein.

Grafik bedürfnisorientiert 1

Vielleicht fragst du dich jetzt: „Warum ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, wenn ich mein Kind doch so gut und bedürfnisorientiert verstehe?“ Tja, und genau da sind wir schon beim nächsten Stolperstein, der ein wichtiger Punkt beim bedürfnisorientierten Umgang ist:

Die eigenen Bedürfnisse vergessen – Wenn die Selbstfürsorge auf der Strecke bleibt

Das Wort „bedürfnisorientiert“ trägt den Hinweis im Namen: Es geht um Bedürfnisse. Aber denk dran, nicht nur um die deines Kindes. Es geht um die Bedürfnisse von ALLEN, auch um deine eigenen. 

Bedürfnisorientiert erziehen bedeutet nicht, den ganzen Tag ums Kind rumzutanzen, stets parat zu stehen und jede Sekunde auf mögliche Bedürfnisse zu achten. Das klingt erstmal heftig und etwas übertrieben, oder? Aber, glaub mir, das kann leicht passieren. Man verliert sich in dieser bedürfnisorientierten Rolle. Mir selbst ist es auch schon so ergangen.

Da ist es wirklich spannend einen Blick zurückzuwerfen, welche Strategien und Gewohnheiten du aus deiner eigenen Kindheit übernommen hast, die du heute noch unbewusst anwendest.

  • Hier kommen wieder einige Impulsfragen, die du dir stellen kannst:
  • Was brauche ich, um gut und gelassen durch den Tag zu kommen?
  • Was tut mir gut? Was gibt mir Kraft und Energie?
  • Schlafe ich genug und erholsam?
  • Wann und was esse ich?
  • Wie steht’s um meine sozialen Kontakte? Zu viele? Zu wenige?
  • Wann habe ich Zeit für mich allein und gönne mir Auszeiten nur für mich?

Sind unsere eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt, sind wir nicht in der Lage feinfühlig auf die Bedürfnisse unseres Kindes einzugehen. Wir sind die Basis, das Herzstück, der Familie und das Fundament, damit das klappt mit der bedürfnisorientierten Erziehung. Wenn du selbst ausgebrannt bist und es dir nicht gut geht, spürt das die ganze Familie. Daher solltest du dich nie selbst vergessen!

Ich weiß, es klingt leichter gesagt als getan und für viele Familien ist die Umsetzung echt tricky: Zwischen Job, Haushalt und Kinderbetreuung bleibt oft wenig Zeit für dich. Aber genau da heißt es hinsehen: 

  • Wie teilen wir uns die Verantwortung und den Mental Load in der Familie auf? 
  • Wer übernimmt was? 
  • Wer kann uns helfen? 
  • Wie möchte ich Familie leben? 
  • Was ist mir wichtig und was darf einfach gehen? 

Bei genau diesen Fragen unterstütze ich dich sehr gerne im Elterncoaching.

 

Bedürfnisorientiert heißt auch Grenzen setzen

Grenzen setzen, puh! Das war sehr lange in der bedürfnisorientierten Bubble ein wenig verpönt. Denn Grenzen in der Erziehung werden oft assoziiert mit harten, strengen Regeln, die sich anhören wie „Friss oder stirb“ oder „Bis hier hin und nicht weiter, sonst setzt es was“. Aber das ist natürlich nicht der Sinn hinter Grenzen setzen.

Vielmehr geht es darum, sich selbst zu definieren: Wer bin ich? Was ist für mich in Ordnung und was nicht? Stell dir das wie eine persönliche Landkarte vor. Wenn wir nie „nein“ sagen, erlauben wir anderen, unsere „Landkarte“ zu betreten und nach Belieben zu handeln, auch wenn bestimmte Bereiche eigentlich „abgesperrt“ sind. Eine Freundin und Kollegin bezeichnet das bedürfnisorientierte Konzept gerne als „Leitplanken“ – das finde ich auch ein sehr schönes Bild, denn das gibt deinem Kind einen sicheren Rahmen, innerhalb dessen es sich frei bewegen kann.

Ich denke das ist vielen von meinen Leser:innen auch schon klar. Die große Frage ist nur immer: „Wie genau kommuniziere ich meine Grenzen richtig, ohne mein Gegenüber zu verletzen oder selbst aus der Haut zu fahren? Wie sage ich liebevoll, dass jetzt Schluss ist und es reicht?“

Ein wichtiger Ansatz dabei ist, dein Kind weiterhin zu sehen und zu verstehen: „Ich verstehe, dass du das gerade nicht magst und doof findest, ABER ich möchte das so nicht.“ Und auch bei einem klaren und deutlichen Nein: Bleib bei deinem Kind, tröste es, sei präsent und schicke es nicht weg.

Oft ist es eher schwierig zu erkennen, wo denn jetzt nun die eigene Grenze ist. Falls du dir unsicher bist, ob du wirklich eine Grenze setzen möchtest oder ob es vielleicht nur ein alter Glaubenssatz ist (z. B., wenn dein Kind lieber mit den Händen isst anstatt der Gabel), dann stelle dir diese Fragen:

  • Was genau ist das Problem?
  • Ist es wirklich ein Problem?
  • Wen stört es? 
  • Was genau stört mich daran?
  • Wie geht es mir gerade unabhängig von der jetzigen Situation? Sind meine eigenen Bedürfnisse erfüllt?

Das Thema ist komplex und schreit nach einem eigenen Artikel 😊. Magst du mir deine Geschichte dazu erzählen? Dann schreibe mir gern eine E-Mail oder eine Nachricht auf Instagram.

Für einen tieferen Einblick kann ich dir das Buch „Meine Grenze ist dein Halt“  von Nora Imlau wärmstens empfehlen.

Verwöhnen versus Unterstützen - Das richtige Maß finden in der bedürfnisorientierten Erziehung

„Du kannst ein Kind nicht verwöhnen“ ist ein Satz, der immer wieder fällt, vor allem im Kontext von Babys. Gemeint ist, dass Babys gar nicht zu viel Nähe und Aufmerksamkeit bekommen können: Dass man nicht genug Körperkontakt anbieten kann, dass man ein Baby nicht zu viel tragen und beruhigen kann, dass man einfach sofort da ist, wenn das Baby einen braucht. 

Genauso kann man auch ein Kleinkind und auch ältere Kinder nicht mit zu viel Nähe verwöhnen, wenn sie es gerade brauchen und sich danach sehnen. Früher (und leider manchmal auch heute noch) wurde das anders gesehen: „Lass das Kind ruhig mal schreien, dass muss sich dran gewöhnen, dass nicht immer sofort jemand kommt…“ und solche Mythen schwirren in manchen Köpfen. 

Und das ist natürlich Quatsch! Ein Baby braucht eine möglichst zuverlässige und schnelle Reaktion auf seine Zeichen, dass ein Bedürfnis gerade nicht erfüllt ist. ABER das Baby wird älter und es gibt einen feinen Unterschied zwischen liebevoller Unterstützung und übermäßiger Fürsorge. 

Es ist wichtig, dem Kind Raum zu geben, um selbstständig zu wachsen und Verantwortung zu übernehmen. Bitte nicht falsch verstehen! Es ist wichtig das eigene Kind zu sehen und zu erkennen, ob es eher schüchtern und zurückhaltend ist und ob es noch viel Unterstützung in bestimmten Situationen braucht. Das hat nichts mit „Verwöhnen“ zu tun, sondern das ist das Kernprinzip der bedürfnisorientierten Begleitung.

Aber wenn wir unser Kind ständig so behandeln, als wäre es noch ein Baby, kann das seine Entwicklung zur Selbstständigkeit hemmen. Kinder brauchen Raum, um sich selbst auszuprobieren, Dinge zu testen und selbst zu machen.

Einige Beispiele aus dem Familienalltag, die du bestimmt kennst: 

Dein Kind möchte immer gerne selber die Schuhe anziehen, aber morgens ist es zeitlich oft eng und irgendwie ist es auch total unpraktisch, wenn das Kind das alleine macht. 

Oder beim Essen: Dein Kind möchte allein die Kartoffeln schneiden, aber dir ist das zu langsam, zu matschig, zu was auch immer.

Am Ende machst du das eben schnell selbst. 

Das heißt nicht, dass es nicht mal Situationen gibt oder geben darf, in denen das so ist. Aber trotzdem braucht es auch Möglichkeiten und Gelegenheiten, dass das Kind sich selbst ausprobieren kann. 

Oft machen wir Dinge einfach, ohne groß drüber nachzudenken. Dabei sollten wir uns immer fragen: 

  • Kann mein Kind das schon allein? 
  • Warum helfe ich gerade? 
  • Von wem geht die Hilfe aus?

Und es heißt übrigens nicht, dass du nun nicht mehr helfen darfst! Nein! Natürlich nicht, denn bei Hilfe geht es nicht immer nur darum, ob dein Kind das kann oder es die Möglichkeit hat etwas zu üben und auszuprobieren, sondern auch um Kontakt und Verbindung zu uns. 

Es kann sein, dass dein Kind immer wieder Hilfe bei Dingen, die es eigentlich schon kann, einfordert. Da kannst du dich fragen:

 
Grafik bedürfnisorientiert 2

Kurzum, es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden. Es ist wichtig, dem Kind Möglichkeiten zur Selbstständigkeit zu geben, ohne es von notwendiger Hilfe und Unterstützung abzuschneiden.

Bedürfnis oder Wunsch?

Im wuseligen Alltag fällt es oft schwer zwischen einem echten Bedürfnis und einem Wunsch zu unterscheiden. Aber warum ist das überhaupt wichtig? Ein Bedürfnis sollte Vorrang haben und befriedigt werden. Es ist die Basis unseres menschlichen Seins. 

Was bedeutet das konkret? Wenn ein Kind müde ist, sollte es schlafen. Ist es hungrig, braucht es was zu essen. 

Wenn ein Kind jedoch unbedingt noch eine Folge Paw Patrol gucken möchte, ist das ein Wunsch. Natürlich ist es wunderbar, Wünsche zu erfüllen, wenn es im Rahmen des Möglichen liegt. Aber es ist auch in Ordnung, wenn nicht jeder Wunsch erfüllt wird.

Es ist also essenziell, den Unterschied zu kennen und dementsprechend zu handeln. Denn während Bedürfnisse unsere Grundlage bilden, sind Wünsche optional, aber nicht zwingend notwendig. 

Es gehört auch zum Lernen dazu, zu verstehen, dass nicht jeder Wunsch in Erfüllung gehen kann.

Bedürfnisorientierte Erziehung: Was sie nicht ist

„Es gibt keine Regeln – das Kind darf machen, was es will“

 

Diese Kritik an der bedürfnisorientierten Erziehung hört man oft. Doch sie ist falsch! Bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet keineswegs „Laissez-Faire“. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass in dieser Form der Erziehung dem Kind keine Grenzen gesetzt werden. Es gibt Regeln, die gemeinsam und altersgemäß mit dem Kind besprochen werden. Kinder haben bei dieser Erziehungsform Mitspracherechte und werden aktiv in Entscheidungen einbezogen.  Sie dürfen und sollen ihre Gefühle in einer bedürfnisorientierten Umgebung erleben und mit der Unterstützung der Bezugspersonen lernen, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen und sich selbst regulieren können. 

Auf Bestrafung, Beschämung und künstliches Loben wird verzichtet.

 

Buchtipps

Schlussgedanken

Kinder zu begleiten ist nicht einfach. Unsere eigenen Lebenserfahrungen beeinflussen stark unsere Beziehungen zu unseren Kindern. Bedürfnisorientierte Erziehung bietet uns eine Möglichkeit, Dinge anders anzugehen, abseits von dem, was wir vielleicht selbst erlebt und gelernt haben. Das kann sehr herausfordernd sein, je nachdem wie groß unser eigener Rucksack ist. 

Aber das Wichtigste dabei ist der Blick nach innen, auf uns selbst.

Und ja, auch ich habe bei diesem Thema in der Vergangenheit nicht immer alles richtig gemacht. 

Möchtest du wissen, was mein größter bindungsorientierter Fehler war? Das habe ich bereits vor einiger Zeit in einem Blogartikel verraten …

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